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26.09.2012
Wissen, Spezial

Insolvenzantrag früher stellen

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Seit dem 01. März 2012 gilt das ESUG, die bislang größte Reform der Insolvenzordnung – Jan Völker, Leiter Legal Service der Coface, erklärt die Konsequenzen.

Ein in die Krise geratenes Unternehmen wie auch seine Gläubiger erhalten nun größere Planungssicherheit hinsichtlich des Ablaufs eines Insolvenzverfahrens. Insolvenzanträge sollen früher gestellt und die Aussichten auf eine erfolgreiche Restrukturierung des Unternehmens verbessert werden.

Die Änderungen betreffen im Wesentlichen drei zentrale Bereiche des Insolvenzverfahrens: das Insolvenzeröffnungsverfahren, das Insolvenzplanverfahren und die Eigenverwaltung. Künftig werden sowohl das insolvente Unternehmen als auch die Gläubiger in diesen Bereichen mehr Entscheidungs- und Handlungsspielraum haben.

Insolvenzeröffnungsverfahren: Rechte von Gläubigern stärken

Eine der wesentlichen Neuerungen ist die Einführung eines sogenannten vorläufigen Gläubigerausschusses. Dieser wird vom Insolvenzgericht im Insolvenzeröffnungs-verfahren bestellt, also in der bis zu dreimonatigen Phase zwischen Insolvenzantrag und Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Der Ausschuss kann dann bereits in diesem frühen Stadium das Verfahren mit lenken. So hat er insbesondere Einfluss auf die Auswahl des Insolvenzverwalters, indem er einen vorschlagen oder auch ablehnen kann. Bislang oblag die Bestimmung des Insolvenzverwalters allein den Insolvenzrichtern. Das hatten Sanierungsexperten und Großgläubiger schon seit Jahren kritisiert. Bisher war es undenkbar, dass ein Insolvenzverwalter bereits vor dem Insolvenzantrag beratend oder sanierungsbegleitend für das schuldnerische Unternehmen tätig war. Jetzt soll das, wenn auch in engen Grenzen, kein Ausschlusskriterium mehr sein.

Allerdings werden durch das ESUG dem vorläufigen Gläubigerausschuss auch Grenzen gesetzt. So kann grundsätzlich ein vorläufiger Gläubigerausschuss im Rahmen der vom Gericht angeordneten Sicherungsmaßnahmen nur eingesetzt werden, wenn zwei der drei nachfolgenden Merkmale beim insolventen Unternehmen erfüllt sind:

· Bilanzsumme: mindestens 4,84 Millionen Euro
· Umsatzerlöse: mindestens 9,68 Millionen Euro
· Arbeitnehmer: mindestens 50

Über die Besetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses entscheidet das Insolvenzgericht. Der Schuldner muss dazu eine vollständige Liste der Gläubiger vorlegen. Darauf sind die in Betracht kommenden Gläubiger gesondert kenntlich zu machen.

In dieser sensiblen Phase sind schnelle wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen, unter anderem über die Person der Insolvenzverwalters. Um keine Zeit zu verlieren, bietet es sich an, dass der Insolvenzschuldner seinen wesentlichen Gläubigern sowohl die Antragstellung als auch ihre geplante Mitwirkung im Verfahren bereits im Vorfeld anzeigt. So wird die Koordination zwischen den Gläubigern und damit eine schnelle Handlungsfähigkeit des vorläufigen Gläubigerausschusses ermöglicht.

Fazit: Die Stärkung der Gläubigerrechte in diesem Stadium des Verfahrens ist ausdrücklich zu begrüßen. Der vorläufige Gläubigerausschuss wird allerdings wegen der gesetzlich geregelten Größenkriterien in kleineren Verfahren vermutlich die Ausnahme bleiben.

Eigenverwaltung stärken

Der Gesetzgeber will mit dem ESUG nun auch der Eigenverwaltung zum Durchbruch verhelfen. In der Eigenverwaltung können und sollen die Kenntnisse und Erfahrungen der bisherigen Geschäftsleitung im Einvernehmen mit den Gläubigern bestmöglich genutzt werden. Zudem kann die zeit- und kostenintensive Einarbeitungszeit eines Insolvenzverwalters vermieden werden.

In der Vergangenheit wurde die Eigenverwaltung nur sehr zurückhaltend eingesetzt. Dies lag nicht nur an Bedenken der übrigen Verfahrensbeteiligten, mit den Organen des Insolvenzschuldners zusammenzuarbeiten, die das Unternehmen in die Insolvenz geführt haben. Auch für den Insolvenzschuldner war das Verfahren nicht kalkulierbar. So wurde bislang zwischen Antragstellung und Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzgericht regelmäßig ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit zum Teil weitreichenden Befugnissen eingesetzt. Erst im Beschluss des Gerichtes über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, also nach zwei bis drei Monaten, wurde über die Anordnung der Eigenverwaltung entschieden. Die Nichtanordnung konnte dann erhebliche negative Auswirkungen auf den weiteren Verlauf des Insolvenzverfahrens haben. Insbesondere dann, wenn die Eigenverwaltung bereits mit dem Antrag vom Schuldner angekündigt wurde.

Das ESUG erleichtert die Voraussetzungen für die Eigenverwaltung. So werden die Gläubiger über den vorläufigen Gläubigerausschuss schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in die Entscheidung über die Eigenverwaltung einbezogen. Sofern der vorläufige Gläubigerausschuss einstimmig den Antrag des Schuldners unterstützt, kann das Gericht diesen Antrag nicht ablehnen. Auch dann nicht, wenn es der Ansicht ist, dass den Gläubigern durch die Anordnung Nachteile entstehen.

Fazit: Die Aufwertung der Eigenverwaltung ist durchaus positiv zu bewerten. Für den Insolvenzschuldner entfällt die Rechtsunsicherheit im Hinblick auf die Anordnung der Eigenverwaltung. Das Interesse der Gläubiger an einer effektiven Mitwirkung und am Schutz vor Benachteiligung werden dabei ausreichend gewahrt. Nebenbei dürften die Kosten für den Sachwalter deutlich niedriger sein als die für den Insolvenzverwalter.

Das neue Schutzschirmverfahren

Das neue Schutzschirmverfahren orientiert sich an dem in den USA bereits seit längerem praktizierten „Chapter 11-Verfahren.“ Es stellt eine weitere Form der vorläufigen Eigenverwaltung dar. Deren Wirkung wurde nochmals verstärkt. Dem Insolvenzschuldner wird im Zeitraum zwischen Eröffnungsantrag und Verfahrenseröffnung ein eigenständiges Sanierungsverfahren zur Verfügung gestellt. Der Insolvenzschuldner hat auf einen entsprechenden Antrag und Beschluss des Gerichts bis zu drei Monate Zeit, unter Aufsicht eines vorläufigen Sachwalters frei von Vollstreckungsmaßnahmen einen Sanierungsplan zu erstellen. Dieser Plan kann anschließend als Insolvenzplan umgesetzt werden.
Voraussetzung für die Einleitung eines Schutzschirmverfahrens ist, dass der Insolvenzschuldner mit dem Eröffnungsantrag eine mit Gründen versehene Bescheinigung eines in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers, Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation vorlegt. Daraus muss sich ergeben, dass zwar drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegt, aber keine Zahlungsunfähigkeit. Die angestrebte Sanierung darf also nicht offensichtlich aussichtslos sein.

Eine wesentliche Stärkung erfährt das Schutzschirmverfahren durch die Befugnis des Insolvenzschuldners, Masseverbindlichkeiten begründen zu können. Er erhält damit die Rechtsposition, die bislang nur ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter hatte. Dies dürfte insbesondere Lieferanten freuen, die bislang nur im Wege der Vorkasse und unter der Gefahr der insolvenzrechtlichen Anfechtung oder des Ausfalls mit einer einfachen Insolvenzforderung den Insolvenzschuldner beliefern konnten.
Fazit : Der „Schutzschirm“ dürfte die eigentliche große Novelle des ESUG darstellen. Viele Unternehmen bekennen sich so spät zur drohenden Insolvenz, dass dann zumeist tatsächlich nichts mehr zu retten ist. Der Schutzschirm kann bewirken, dass sie sich früher mit der drohenden Insolvenz auseinandersetzen und zu handeln beginnen. Das steigert in jedem Fall die Sanierungschancen beim insolventen Unternehmen.

Das Insolvenzplanverfahren

Ein weiterer wesentlicher Baustein des ESUG ist schließlich die Stärkung und Flexibilisierung des Insolvenzplanverfahrens. Es wurde lediglich in zwei bis drei Prozent der eröffneten Insolvenzverfahren durchgeführt, obwohl es vielfach zu besseren Quoten für die Gläubiger geführt hat. Trotzdem galt der Insolvenzplan bisher als schwerfällig und komplex. Im Planverfahren nach dem ESUG wird insbesondere die Möglichkeit geschaffen, über einen Insolvenzplan in die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen und Gesellschafter einzugreifen. So können Forderungen der Gläubiger in Eigenkapital umgewandelt werden. Durch dieses „Debt-Equity-Swap“-Verfahren können die Gläubiger künftig an der Zukunft des Unternehmens partizipieren. Das ESUG lässt es sogar ausdrücklich zu, dass solch eine Anteilsübertragung auch gegen den Willen der Altgesellschafter erfolgen kann.

Künftig können einzelne Gläubiger den Insolvenzplan nicht mehr so leicht zu Fall bringen. Dies wird dadurch erreicht, dass etwaige Beschwerden von einzelnen Gläubigern das Gericht nicht mehr daran hindern, den beantragten Insolvenzplan zu bestätigen. Die Beschwerdeführer sollen nach dem ESUG erst im Nachhinein – nach Feststellung der Berechtigung Ihres Einwandes - entschädigt werden.

Fazit: Die neuen Verfahrensinstrumente, wie etwa das „Dept-Equity-Swap“-Verfahren oder die Einschränkung der Blockademöglichkeiten von Minderheits-Gläubigern, sind ausdrücklich zu begrüßen. Das Insolvenzplanverfahren dürfte durch die Neuregelungen schneller und effizienter werden.

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