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12.05.2017
Länder- und Branchenbewertungen, Pressemeldung

„Die Realität wird viele Ankündigungen einholen“

Coface-Kongress-Länderrisiken-am-11.-Mai-in-Mainz

Hören wir nur vermehrt starke Sprüche ohne nennenswerte Konsequenzen oder stehen internationale Beziehungen und Wertegemeinschaften vor Zerreißproben? Gefährden nationalistische Tendenzen die politische Wertegemeinschaft EU und den liberalisierten Welthandel? Unter anderem um diese Fragen dreht sich der „Kongress Länderrisiken“, den der internationale Kreditversicherer Coface am 11. Mai zum 11. Mal in Mainz veranstaltet. Dr. Daniela Schwarzer wird in ihrer Keynote zum Kongress aktuelle Fragestellung aufwerfen und die politischen wie wirtschaftlichen Zusammenhänge und Folgen beleuchten. Scheitern werde die Europäische Union nicht, meint Dr. Schwarzer im Interview für „Coface kompakt“. „Die EU muss aber mehr von sich überzeugen und es den Befürwortern leichter machen.“ Coface-Pressesprecher Erich Hieronimus sprach mit der Direktorin des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.

 

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Dr. Daniela Schwarzer. Foto: Coface

 

Frau Dr. Schwarzer, ist die große politische Idee der EU auf dem Weg zu scheitern?

Dr. Schwarzer:In Ihrer Frage stecken zwei Aspekte: Scheitert die EU? Oder scheitert die Idee dahinter? Derzeit – das ist allerdings nicht ganz neu – wird die Union infrage gestellt als supranationale Gemeinschaft. Aber auch die westlichen Demokratien stehen unter Druck, und die EU ist eine Gemeinschaft demokratisch verfasster Staaten. Viele der aktuellen Probleme sind tatsächlich keine „europäischen“ Probleme, sondern der westlichen Ordnungsstrukturen. Viel Kritik wird auf die EU projiziert, obwohl sie dafür nicht verantwortlich ist. Die EU wird nicht mit einem großen Knall scheitern, infrage gestellt wird sie aber schon. Den Problemen müssen wir auf allen Ebenen begegnen: national, auf EU-Ebene und global. Eine stärkere Akzeptanz entsteht dann, wenn die Bevölkerung klarer versteht, warum die Idee der europäischen Integration und Zusammenarbeit Sinn ergibt. Ich bin sicher, dass hier umgesteuert werden kann – und muss.

 

Worin liegen aus Ihrer Sicht die Gründe für zunehmenden Nationalismus?

Dr. Schwarzer:Der aufkommende Nationalismus ist kein rein europäisches Problem, ähnliche Entwicklungen sieht man auch in den USA, wo nationalistische und protektionistische Töne durch Trump noch schärfer geworden sind. In Europa liegt ein Grund für die Rückbesinnung auf das Nationale meines Erachtens in der unvollständigen Integration. Innerhalb der EU wurden Grenzen abgebaut – etwa im Binnenmarkt und im Schengen-Raum mit der Freizügigkeit für die Bevölkerung. Gleichzeitig wurde aber nicht die entsprechend notwendige Steuerungs- und Handlungsfähigkeit auf europäischer Ebene hergestellt. So wurde etwa im Schengen-Raum über Jahre nicht genug getan für die Kontrolle der gemeinsamen Außengrenzen, die polizeiliche Zusammenarbeit oder auch die Kooperation der Geheimdienste. Hier muss nun mühsam nachgesteuert und ergänzt werden, in einer Situation, in der die Kritik an der EU, die von vielen eher als Problem, denn als Lösung gesehen wird, gewachsen ist. Die unvollständige Integration ist zur Gefahr geworden. Entwickelt sich die europäische Zusammenarbeit nicht konstruktiv weiter, besteht die Gefahr, dass die Gemeinschaft erodiert. Desintegration ist möglich geworden.

 

Kann die EU-(Ebene) nationalistischen Tendenzen überhaupt etwas entgegensetzen?

Dr. Schwarzer:Parteien und Bewegungen, die nationalistische Positionen vertreten, richten sich auch gegen die Europäische Union. Insofern liegt die Frage nahe, was denn die EU diesen Tendenzen entgegen setzen kann. Zunächst einmal muss herausgearbeitet werden, welche Kritikpunkte überhaupt etwas mit der EU zu tun haben und welche nur bei ihr abgeladen werden. Sehr oft vermischt sich beispielsweise Globalisierungskritik mit EU-Kritik, oder die EU wird für nationale Einwanderungspolitiken aus zurückliegenden Jahren verantwortlich gemacht. Offensichtlich ist indes, dass EU-, Globalisierungs- und Immigrationskritiker an die gleichen Ängste appellieren: an die Angst vor wirtschaftlichem und sozialen Druck und Status-Verlust, an die Sorge vor Kontrollverlust und Identitätssorgen. Die EU kann mehr von sich überzeugen, indem sie wirksamere Antworten auf die tiefen Unsicherheiten unserer Zeit entwickelt, was sie aber in vielen Fällen nur mit nationalen Regierungen machen kann, weil ihr selbst die Kompetenzen fehlen. So kann sie es ihren Befürwortern leichter machen, den Nutzen der EU zu erklären. Dabei ist allerdings klar: Nationale Regierungen und Politiker sind heute immer noch die eigentlichen Legitimationshersteller für die EU. Denn das System ist so entwickelt, dass außer dem direkt gewählten Europa-Parlament die Legitimation der Gemeinschaft vor allem auf nationalen Regierungen basiert. Genau darin besteht eines der Probleme der heutigen EU. So übertragen die Regierungen Kompetenzen auf die Europäische Kommission – wollen dann aber nicht dafür verantwortlich gemacht werden. Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist das unter Barack Obama angestrebte Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen TTIP. Die Kommission wurde mit der Aushandlung mandatiert, doch die nationale Politik war in vielen EU-Staaten zurückhaltend damit, die Idee zu unterstützen und zu erklären, warum es gut für Europa gewesen wäre, die Handels- und Investitionsbeziehungen mit den USA zu verstärken.

 

Hat – wirtschaftlich betrachtet – die EU die Abkehr vom inneren Wettbewerb befördert und eher eine Transferregion begründet: Ordnungsrecht dominiert und bremst Wettbewerb?

Dr. Schwarzer:Die EU und vor allem der Binnenmarkt sind so konzipiert, dass sich der Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaft verstärken. Das kann dann allerdings zu regionalen Unterschieden führen, und es muss politisch entschieden werden, inwiefern diese Disparitäten ausgeglichen werden sollen. Mit den Regional- und Strukturfonds gibt es dafür schon einige Instrumente. Wichtig ist auch die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und die Mobilität von Arbeitskräften. Dies gilt insbesondere für die Europäische Währungsunion. Zudem nimmt die Diskussion über ein Eurozonenbudget Fahrt auf. Dies ist eine wichtige Diskussion, denn bislang fehlen in der Währungsunion fiskalische Instrumente, etwa um zyklische Divergenzen abzufedern. Keine anderer Währungsraum in der Welt kommt ohne dieses Instrument aus.

 

Wird es in Großbritannien ein böses Erwachen geben oder sehen Sie für die britische Wirtschaft eher Chancen nach dem Brexit?

Dr. Schwarzer:Wie Großbritannien als Wettbewerber auftreten will, also welches Modell es für sich selbst wählt, ist noch nicht definiert. Für den Finanzsektor ist eher eine noch stärkere Deregulierung zu erwarten, um attraktiv für Investoren zu bleiben. Die Auswirkungen auf die internationalen Finanzmärkte und die Realwirtschaft bleiben abzuwarten. Besonders London wird einen Aderlass erleben bei Banken, Finanzdienstleistern oder Kanzleien, die ihren Standort verlagern werden, um im Binnenmarkt – oder auch gleich in der Währungsunion – basiert zu sein. Großbritannien baucht ein gutes Abkommen mit der EU, wobei insbesondere enge Wirtschafts- und Finanzbeziehungen und sinnvolle Regelungen für die Mobilität von Arbeitskräften notwendig sind. Andere internationale Kontexte, zum Beispiel der in UK so oft zitierte Commonwealth, können nicht kompensieren, was Großbritannien durch den Austritt aus dem Binnenmarkt verliert. Auch das künftige Verhältnis zu den USA ist noch gänzlich unklar.

 

Kann es sich die größte Volkswirtschaft der Welt USA leisten, sich vom liberalen Welthandel abzukoppeln?

Dr. Schwarzer:Die Realität wird viele Ankündigungen einholen. Trump wird natürlich nicht alle internationalen Bindungen und Abkommen im Interesse der USA neu verhandeln oder ersatzlos über Bord werfen können. Denn das Wirtschaftsmodell der USA und seine internationalisierten Wertschöpfungsketten sind import- und exportabhängig. Trump scheint davon auszugehen, dass er in neuen Verhandlungen bessere Ergebnisse für die USA herausholen kann. Seine Idee ist nicht die rigorose Abkopplung, sondere eine bessere Positionierung über bessere „Deals“. Dabei wird er erleben, dass die „Partner“ nicht alles mitmachen. Diese Länder werden dann auch verstärkt von China oder auch der EU angesprochen. Sie werden sich neu positionieren. Und die Politik Trumps wird schnell vorsichtiger werden, weil sie Gefahr läuft, das Gegenteil dessen zu erreichen, was er verkündet. Im Vordergrund stehen für ihn innenpolitische Ziele und Versprechungen, bei denen Wachstum und Beschäftigung eine große Rolle spielen. Setzt er auf Abschottung, wird dies den USA zumindest mittelfristig schaden.

 

Wie beurteilen Sie die - immer mal wieder - zu hörenden Forderungen, Deutschland solle seinen Exportüberschuss bremsen? Ist das nicht Ausdruck von Wettbewerbsschwäche derer, die das fordern?

Dr. Schwarzer:Aus Sicht der USA ist das schon länger ein Problem. In jüngster Zeit weist die Rhetorik einiger Vertreter der US-Regierung verschwörungstheoretische Elemente auf, etwa, wenn der Euro „als verkleidete Deutsche Mark“ bezeichnet wird, deren Wechselkurs aus Berlin gesteuert werde. Große Unterschiede in den Handelsbilanzen sind nicht zu leugnen, sie sind aber eher ein Problem in der Eurozone als im transatlantischen Verhältnis. Die Vorstellung, die Unterschiede durch einseitigen Verzicht der deutschen Wirtschaft nachhaltig auszugleichen, ist recht naiv. Das Argument wird mitunter auch gebraucht, um von der Wettbewerbsschwäche von Ländern oder Branchen abzulenken. Richtig ist aber auch, dass viele Volkswirtschaften die Lücke nicht aus eigener Kraft verringern können. Daher stellt sich insbesondere in der Eurozone die Frage, wann die Ungleichgewichte zu groß und gefährlich werden. Diskutiert werden muss auch, was dagegen getan werden kann: Finanzielle Ausgleiche oder bewusste Förderungspolitik sind mögliche Ansätze – aber sicherlich nicht eine gezielte Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportwirtschaft. Zielführend scheint eine wirtschaftspolitische Förderung bestimmter Regionen oder Länder, bei gleichzeitiger Umsetzung eines Reformprogramms, mit dem Ziel der Flexibilisierung und der Stärkung von Innovationsfähigkeit.

 

Muss die Politik neue Rahmenbedingungen für die Wirtschaft schaffen? Es ist immer wieder die Rede von notwendigen Reformen, auch in Deutschland. Sehen Sie das auch so und welche wären das?

Dr. Schwarzer:Natürlich hat die Politik eine bedeutende Rolle in der Rahmensetzung für die Wirtschaft. Das gilt für die Steuer- und Abgabenpolitik, für das Arbeitsrecht, die Regulierung und natürlich auch für die Bereitstellung von Infrastruktur und Rahmenbedingungen, die Innovationkraft und auch Unternehmensneugründungen fördern. Was genau sinnvoll und nötig ist, variiert von Land zu Land, mitunter sogar von Region zu Region. In Deutschland brauchen wir zu diesem Zeitpunkt einige Reformen, so zum Beispiel eine Flexibilisierung im Dienstleistungssektor, und Investitionen etwa in Infrastruktur und Bildung.

 

Lesen Sie auch einen Bericht über die Keynote von Dr. Daniela Schwarzer beim Kongress Länderrisiken 2017: „Neuer Auftrag für Europa.“

Beim Kongress Länderrisiken diskutierten Experten über die Frage: Ist die Globalisierung am Ende? 

Wie sieht Coface die globale Risiko-Entwicklung: Zur Presse-Information.

Kontakt


Erich HIERONIMUS

Pressesprecher
Isaac-Fulda-Allee 1
55124 Mainz
DEUTSCHLAND
Tel. : +49 6131 323 541
E-Mail : erich.hieronimus@coface.com

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