Ausblick: Coface-Chefvolkswirt Jean-Christophe Caffet blickt auf das Jahr 2022

Coface, weltweit führender Anbieter für Kreditversicherungslösungen, hat seinen Wirtschaftsausblick für das Jahr 2022 veröffentlicht. Das globale Wachstum wird sich voraussichtlich verlangsamen, aber positiv bleiben.

Wie ist Ihr Ausblick für die Weltwirtschaft? Haben Sie je nach Gefahr der neuen Omikron-Variante verschiedene Szenarien prognostiziert?

 

Das Auftreten neuer Coronavirus-Varianten, die über Omikron hinausgehen, ist natürlich das Hauptrisiko für 2022. Wir sind jedoch der Ansicht, dass die Einbeziehung dieser Möglichkeit in unsere Prognosen relativ sinnlos bzw. illusorisch ist, da die Auswirkungen auf die Wirtschaftstätigkeit und die Gesellschaft insgesamt von einer Reihe von Variablen abhängen, die sich nicht vorhersagen und quantifizieren lassen: Wie gefährlich (Letalität)? Wie ansteckend? Wie reagieren die öffentlichen Behörden? Wie wird die Gesellschaft reagieren? Die Unbekannten sind so zahlreich, dass es notwendig wäre, eine unüberschaubare Anzahl von "alternativen" Szenarien zu entwerfen. Wir ziehen es vor, ein Szenario zu entwerfen und zu quantifizieren, das wir heute als zentral einstufen, und aufmerksam zu bleiben, damit wir unsere Ansichten neu ausrichten können, wenn die aktuellen Ereignisse es erfordern – nach dem, was wir wissen, und nicht nach dem, was wir uns heute vorstellen können.

Abgesehen von allen extremen Risiken scheint 2022 ein Jahr des Übergangs oder der Normalisierung zu sein, nach zwei Jahren mit sehr hoher Volatilität auf allen Ebenen: Wirtschaftstätigkeit, Verbraucherpreise, Vermögenspreise, Erwartungen der Akteure usw.
In diesem Szenario erwarten wir eine deutliche Verlangsamung des globalen Wirtschaftswachstums, das nach unseren jüngsten Schätzungen von knapp über 5,5% im Jahr 2021 auf fast 4% im nächsten Jahr zurückgehen wird. Das Gleichgewicht der Risiken ist jedoch eindeutig nach unten verschoben.

 

Müssen wir uns wegen der wirtschaftlichen Verlangsamung in China Sorgen machen?

Eines dieser Risiken ist nicht zuletzt die Abschwächung der chinesischen Wirtschaft. Die chinesische Wirtschaft erwirtschaftet inzwischen etwa ein Sechstel des globalen BIP und ist nicht mehr nur die "Werkstatt der Welt", sondern auch ein wichtiger Motor der weltweiten Nachfrage. Die seit mehreren Quartalen zu beobachtende Verlangsamung des privaten Konsums und der Unternehmensinvestitionen vor dem Hintergrund einer hohen Verschuldung und einer Krise des Immobiliensektors (der im weitesten Sinne mehr als ein Viertel des chinesischen BIP ausmacht) stellt ein Risiko dar, das die chinesischen Währungs- und Steuerbehörden derzeit einzudämmen versuchen, das aber nach wie vor schwer einzuschätzen ist. Daher ist dieses Phänomen besorgniserregend, sowohl für China als auch für den Rest der Welt.

 

Ist die Inflation, die wir derzeit erleben, unabhängig von ihrer Ursache (Rohstoffe, Mehrfachverknappung, Kohlenstoffpreise), nur vorübergehend?

Es ist wichtig zu wissen, woher die Inflation kommt, um zu wissen, ob sie vorübergehend oder dauerhaft ist. In dieser Hinsicht gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen Kontinentaleuropa und den Vereinigten Staaten. In Kontinentaleuropa ist die Inflation vor allem auf die Energiepreise und auf Störungen in den globalen Wertschöpfungsketten zurückzuführen. In den USA scheinen sich diese anfänglichen Auswirkungen, die ebenfalls zu beobachten sind, stärker auf den gesamten Produktionsprozess und insbesondere auf die Löhne ausgewirkt zu haben, und dies in einem Umfeld, das ansonsten von Arbeitskräftemangel geprägt ist. Kurz gesagt: Die Inflation hat in der Eurozone noch die Merkmale eines vorübergehenden – wenn auch anhaltenden – Phänomens, während sie in den USA dabei ist, sich durchzusetzen. Dies erklärt die Asymmetrie in der Geldpolitik der beiden Regionen.

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