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14.03.2022
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"Auf exzellentes Risikomanagement angewiesen"

Stefan Nehls, Information Services Director Nordeuopa bei Coface

Die vergangenen zwei Jahre haben Expert*innen im Kredit- und Risikomanagement vor immer neue und ständig wechselnde Herausforderungen gestellt. Dabei sind zuverlässige und aktuelle Bonitäts- und Wirtschaftsinformationen immer mehr ins Zemtrum des Interesses gerückt. Im Interview mit Der CreditManager (Ausgabe 1/2022) sprach Information Services Director Stefan Nehls – noch vor der Eskalation des Ukraine-Konflikts – über die Abkehr vom Standard-Risikomanagement, über die Unterschiede von verschiedenen Prognosemodellen und über das Informationsportal iCON von Coface. 

Sie sind seit Januar neu im Management von Coface und verantworten den Bereich „Information Services“. Worin sehen Sie Ihre Hauptaufgabe?

Stefan Nehls:
Mit einem Wachstum im zweistelligen Prozentbereich sind wir einer der am schnellsten wachsenden Anbieter für Bonitäts- und Wirtschaftsauskünfte. Und das, obwohl viele Unternehmen unsere Produkte fernab der Kreditversicherung noch gar nicht kennen oder noch keine Erfahrungen mit uns gesammelt haben. Dies zu ändern, ist mit Sicherheit eine meiner Hauptaufgaben.

 

Kreditmanager sehen sich seit Beginn der Coronakrise mit komplexen Risikoszenarien konfrontiert. Wo sehen Sie im aktuellen Umfeld die größten Herausforderungen?

Stefan Nehls:
Dass wir in volatilen Zeiten leben, muss ich ja niemandem erklären. Es ist komplexer und somit schwieriger geworden, die Risikosituation eines Unternehmens einzuschätzen. Vor der Pandemie reichte häufig eine Art Standard-Risikomanagement aus. Aber heute muss man tiefer einsteigen, um Risiken für das eigene Unternehmen abzuwägen. Rohstoffmangel, fehlende Chips, unterbrochene Lieferketten – die Liste der Risikofaktoren ist lang. Dazu kommt jetzt noch die hohe Inflation.

 

"UNTERNEHMEN RÜCKEN GANZ BEWUSST VON DER MAXIMALAUTOMATISIERUNG AB"

 

Was sind die Folgen für das Risiko- und Kreditmanagement?

Stefan Nehls:
Alle genannten Umstände haben dazu geführt, dass Unternehmen wieder mehr Zeit in die Risikoprüfung investieren. Vor der Pandemie war es so etwas wie ein Sport, den Anteil der automatischen Kreditentscheidungen möglichst auf 100% zu steigern. Jetzt sehen wir, dass Unternehmen teilweise ganz bewusst von der Maximalautomatisierung abrücken. Ein Indiz dafür ist, dass vor allem die Individual-Gespräche mit unseren Underwritern aktuell sehr gefragt sind. Dabei können sich Kunden direkt mit einem Branchenspezialisten auch über Einzelrisiken austauschen.

 

Unter dem Titel „Verstaubte Wirtschaftsauskünfte – eine Gefahr für Unternehmen?“ haben Sie kürzlich in einem Webinar über die Situation in der Informationsbranche gesprochen. Wie kamen Sie in diesem Zusammenhang auf diesen Titel?*

Stefan Nehls:
Wir haben bewusst einen kontroversen Titel gewählt, der aber im Kern ein wichtiges Thema adressiert. Letztendlich haben wir zwei verschiedene Prognosemodelle verglichen und gegenübergestellt. Klassische Auskunfteien betreiben ein Scoringmodell, das sich grob so zusammenfassen lässt: In den Daten der Vergangenheit liegt der Schlüssel bzw. die Insolvenzwahrscheinlichkeit der Zukunft. Dieses Modell funktioniert in wirtschaftlich stabilen Zeiten relativ gut, ist jedoch rein technisch zu behäbig für Krisenphasen, in denen sich die Situation ständig verändert.

Bei Coface betreiben wir mit iCON ein Expertensystem, das diese Basisdaten mit tagesaktuellen Daten und Informationen aus unserem Kerngeschäft, der Warenkreditversicherung, kombiniert.

 

Welche Daten sind das?

Stefan Nehls:
In die so genannten Opinions oder den DRA (Debtor Risk Assessment, Anm. d. Red.) fließen zum Beispiel weltweite Zahlungsvorgänge oder Zahlungsverzögerungen mit ein, ebenso wie individuelle Expertenratings unserer Branchenexperten im Underwriting.

Es ist doch so: Genau wie unsere Kunden sind wir als Kreditversicherer auf ein exzellentes Risikomanagement angewiesen, um Forderungs- oder Lieferantenausfälle zu verhindern bzw. in unserem Fall dann nicht einspringen zu müssen. Wir sprechen bei Coface immerhin von einem Exposure in Höhe von 540 Mrd. Euro, das wir absichern. Wir bieten also exakt die Informationen und Auskünfte, die wir für unser eigenes Risikomanagement nutzen, auch den Kunden unserer Information Services an. Dieses Gleichnis ist meist ein ausschlaggebendes Argument.

 

Die „klassischen“ Auskunfteien haben also ausgedient?

Stefan Nehls:
Mit Nichten! Wir selbst sind vermutlich einer der größten Auskunfteikunden weltweit und produzieren in knapp 70 Ländern für uns und unsere Kunden klassische Wirtschaftsauskünfte. Für Coface sind diese generischen Informationen die Stamm- und Basisdaten, von denen aus wir unsere Premiumprodukte wie den DRA, das Supplier Risk Assessment und die Advanced Credit Opinion aufbauen.

 

Werfen wir einen Blick in die Zukunft – wohin wird sich der Markt für Wirtschafts- und Bonitätsauskünfte entwickeln?

Stefan Nehls:
Generische, also „klassische“ Wirtschaftsauskünfte werden mehr und mehr zur Commodity. Dieser Trend lief schon vor der Pandemie und wird sich fortsetzen. Auf der anderen Seite werden Risikomanager in Zukunft stärker differenzieren zwischen generischen und Experten-Bewertungsmodellen und diese womöglich kombiniert einsetzen.

 

*Link zur Aufzeichnung des Webinars „Verstaubte Wirtschaftsauskünfte – eine Gefahr für Unternehmen?": https://www.youtube.com/watch?v=cIGjeUfxOxw

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